Kapt. Runa Jörgens
Leiterin Themen und Projekte
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Eine Vision, so definiert es der Duden, ist nicht nur ein als Zukunftsvorstellung entworfenes Bild, sondern auch eine übernatürliche Erscheinung. Und so überrascht es nicht, dass die Publikumsfrage nach einer gemeinsamen positiven Zukunftsvorstellung auf einer Tagung der maritimen Branche erst andächtige Stille, dann aber Begeisterung und sofort konkrete Ideen hervorruft.
Für seine Vision muss Harald Fassmer, Präsident des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik, jedenfalls offenkundig nicht lange überlegen. Wie wäre es, schlägt er vor, wenn deutsche Werften und deutsche Reeder gemeinsam ein „supereffizientes“ Schiff bauten? Weltklasse und Spitzentechnik, Made in Germany? Ein Aushängeschild, das weltweit für Bewunderung sorgt? Auf dem Podium, dem weitere Spitzenvertreterinnen und -vertreter der maritimen Wirtschaft angehören, sorgt der Vorschlag für Anklang. „Da sind wir dabei“, sagt Dr. Gaby Bornheim, Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder. Man müsse schließlich, meint sie, gemeinsam an einem Strang ziehen. Vom Reden ins Handeln kommen – und Visionen in die Tat umsetzen.
Es ist nicht die einzige Vision, die an diesem Tag während der Konferenz „Maritime Transformation – Wegbereiterin für die Zukunft“ greifbar wird, zu der zahlreiche weitere Gäste geladen sind. Rund 100 Teilnehmer*innen haben sich dazu auf Einladung des Deutschen Maritimen Zentrums am 15. Juni 2023 im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) in Berlin versammelt.
Mit rund 500.000 Mitarbeitenden und einer Wertschöpfung von über 50 Mrd. Euro jährlich zählt die maritime Wirtschaft zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Deutschlands. Für Importe wie Exporte ist die Handelsnation Deutschland auf die maritime Wirtschaft angewiesen, zu der u.a. der Schiffbau zählt, die Infrastruktur der Häfen, dazu der Schiffsbetrieb, der Offshore-Bereich sowie zahlreiche maritime Dienstleistungen.
Doch gleich in mehreren Bereichen stehen die maritimen Teilbranchen vor großen Herausforderungen. Während der Konferenz, die eine Reihe von Keynotes und Impulsvorträgen umfasste, sowie am Vor- und Nachmittag je eine Paneldiskussion, stellten Rednerinnen und Redner v.a. den möglichen Anteil der maritimen Wirtschaft im Kampf gegen den Klimawandel ins Zentrum ihrer Überlegungen. Doch auch Digitalisierung und Automatisierung sowie der drängende Fachkräftemangel wurden thematisiert.
Die Bedeutung der maritimen Wirtschaft für den Kampf gegen die Erderwärmung
Fast unisono betonten die Rednerinnen und Redner den Beitrag, den die maritime Wirtschaft zur Begrenzung des Klimawandels bereits leiste und noch leisten müsse – nicht nur in dem sie selbst Emissionen reduziert, sondern die Bundesrepublik insgesamt überhaupt erst in die Lage versetzt, klimaneutral zu werden. Denn Deutschland wird den eigenen Energiebedarf trotz des Ausbaus von Fotovoltaik sowie On- und Offshore-Windkraftanlagen kaum auf eigener Fläche decken können. Wie bisher wird das Land auch in Zukunft auf Energieimporte angewiesen sein. Dann aber von grüner Energie, z.B. in Form von grünem Wasserstoff und seinen Derivaten wie Ammoniak. Die könnten beispielsweise in Südamerika, Australien oder Afrika produziert werden. Der Import muss dann über den Seeweg erfolgen – mit entsprechender Bedeutung der Seehäfen als Energiehubs. Langfristig müsse Deutschland rund 60% der auf Wasserstoff basierenden Energie per Schiff importieren, gab Gaby Bornheim vom Verband Deutscher Reeder zu bedenken. Deutschland benötige einen „gefestigten Zugang zum Seehandel und eine stetige Zufuhr der Rohstoffe für die angestrengte Transformation“, sagte sie. Die Schifffahrt sei deshalb „Schlüssel und Schloss für die CO2-neutrale Zukunft“.
Doch auch die maritime Wirtschaft selbst muss sich in Zukunft umstellen. „Der Übergang auf nachhaltige alternative Kraftstoffe ist essenziell für eine tiefgreifende Dekarbonisierung des internationalen Seeverkehrs“, sagte Daniela Kluckert (FDP), Parlamentarische Staatssekretärin im BMDV, die mit ihrem Grußwort die Tagung eröffnete.
Wie das gelingen könnte, stellte Dr. Monika Griefahn, ehemalige niedersächsische Umweltministerin (SPD) und Vorstandsvorsitzende der eFuel Alliance in ihrer Rede vor. Ihrer Analyse zufolge werden Antriebe, die direkt Wasserstoff nutzen oder auf Lithium-Ionen-Batterien basieren, auch in Zukunft für die Schifffahrt wohl keine Rolle spielen. Im Falle des Wasserstoffs sei die Energiedichte zu gering, und im Falle der Batterien das Gewicht zu hoch. So blieben v.a. die Alternativen Biodiesel, Biomethanol, eLNG und eAmmoniak, die sich jeweils durch verschiedene Vor- und Nachteile auszeichneten. Welche Technologie sich schließlich durchsetzen werde, sei derzeit aber kaum absehbar, gab Griefahn zu bedenken. Sie prophezeite daher einen Technologiemix – und warb dafür, den Begriff „Dekarbonisierung“ durch den der „Defossilisierung“ zu ersetzen. Denn kohlenstoffhaltige Treibstoffe würden auch zukünftig benötigt – nur eben keine fossilen mehr. Obwohl diese Umstellung eine große Herausforderung sei, gab sich Griefahn optimistisch. „Ich kenne die maritime Branche gut und weiß, dass sie in der Lage ist, Umwelt- und soziale Kompetenzen zügig einzubringen“, sagte sie.
Zumal, und darin waren sich auch die anderen Gäste einig, es zur Dekarbonisierung bzw. Defossilisierung keine Alternativen gebe. Es sei unbestritten, so erklärte Jens B. Knudsen, Vorstandsvorsitzender des Zentralverbands Deutscher Schiffsmakler, „dass der schiffgestützte Güterverkehr gemessen am Volumen die umwelt- und klimafreundlichste Transportart ist.“ Würde der Güterverkehr auf andere Verkehrsträger verlagert, stiegen die CO2-Emissionen an.
Schlüsselfaktor Effizienz
Mit der Dekarbonisierung alleine, also der Umstellung auf Schiffsantriebe, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden, sei es jedoch nicht getan, mahnte Harald Fassmer vom Verband Schiffbau und Meerestechnik. Denn auf absehbare Zeit blieben die aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen Treibstoffe knapp – und auch die Rohstoffe, die es benötigt, um sie überhaupt zu produzieren.
Tatsächlich benötigen Elektrolyseprozesse zur Herstellung von Wasserstoff je nach verwendetem Verfahren große Mengen des sehr seltenen Rohstoffs Iridium oder des an sich reichlich vorhanden Nickels, das bislang aber größtenteils aus Russland importiert wurde. Viele Metalle der Gruppe der „Seltenen Erden“ bauen Unternehmen v.a. in der Volksrepublik China ab. Da im Rohstoff-Bereich Knappheiten bestehen bleiben würden, werde Effizienz in Zukunft immer wichtiger.
Das aber könne dem Standort Deutschland durchaus zugutekommen. Schließlich sei die Branche hierzulande konkurrenzfähig nicht aufgrund besonders günstiger Preise, sondern durch effiziente Prozesse und qualitativ hochwertige Produkte, wie Fassmer erklärte. „Die maritime Energiewende ist nicht, wie oft zu hören, in erster Linie eine Frage des Antriebssystems oder von Kraftstoffen. Entscheidend für die Zielerreichung ist die Effizienz des Gesamtsystems Schiff. Das ist in all seinen Facetten gut für die deutsche maritime Industrie. Denn billig ist nicht unsere Stärke, Effizienz aber sehr wohl.“ Um effiziente Schiffe zu bauen, seien leistungsfähige Werften von großer Bedeutung. Die sollten sich nicht nur auf Kreuzfahrtschiffe, Jachten und öffentliche Aufträge konzentrieren, sondern auch wieder in den Serienschiffbau einsteigen.
Effizienz sei ein Schlüsselfaktor nicht nur bei neugebauten Schiffen, sondern auch bei der Hinterlandanbindung der Häfen, gab Prof. Dr. Sebastian Jürgens, Vizepräsident des Zentralverbandes der deutschen Seehafenbetriebe, zu bedenken. Denn das bestehende Bahnnetz, das die Häfen mit Industriezentren und Ballungsgebieten verbinde, habe schon aktuell keine ausreichende Kapazität. Für die prognostizierte steigende Nachfrage sei es erst recht nicht ausgelegt. Von der Politik forderte Jürgens daher nicht nur Investitionen in den Personenverkehr, sondern auch einen Ausbau des Bahnnetzes für Güter. Dies sei allerdings eine Aufgabe für das ganze Land. „Die nationale, gar europäische Dimension der Transformationsprozesse zeigt deutlich, dass Hafeninfrastruktur nicht allein Aufgabe von Ländern und Kommunen an der Küste sein kann“, erklärte er. Gelingen könne dies nur, wenn sich die Umsetzungsgeschwindigkeit von Projekten in Deutschland erhöhe, mahnte er: „Wir müssen als Gesellschaft und als Politik deutlich schneller und besser darin werden, unsere Zukunftspläne umzusetzen.“
Die anwesenden Vertreter der Politik hörten die Kritik – und stimmten teils gleich mit ein. So merkte auch der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler (FDP) in seinem Statement die über Jahrzehnte vernachlässigte Infrastruktur an und warb für ihren Ausbau. Als ersten aktuellen Erfolg nannte er den Beschluss zur Vertiefung des Hafens in Rostock.
Gelinge der Auf- und Ausbau der erneuerbaren Energien, bedeute dies indes nicht nur mehr Unabhängigkeit von Energieimporten, sondern auch große wirtschaftliche Chancen, sagte Dieter Janecek, Koordinator der Bundesregierung für Maritime Wirtschaft und Tourismus (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz). „Der Ausbau von Produktionskapazitäten für Offshore-Wind hilft uns, Abhängigkeiten zu reduzieren und birgt gewaltige Wertschöpfungspotenziale.“ Die Expertise von Ingenieur*innen und Techniker*innen könne sich Deutschland so im eigenen Land zunutze machen. Offshore-Windparks böten zudem viele Beschäftigungsmöglichkeiten, nicht nur im Bau, sondern auch bei der Wartung.
Ganzheitliche Planung und schlanke Prozesse sichern die Wettbewerbsfähigkeit
Damit diese Wertschöpfungspotenziale auch gehoben werden könnten, sei allerdings eine durchdachte Regulierung von entscheidender Bedeutung, mahnten mehrere Redner*innen. So erinnerte Monika Griefahn an ein Dickicht von Vorschriften und umständlichen Genehmigungsverfahren. Allein für die Erlaubnis, ein Schiff mit LNG betanken zu lassen, seien mehrere Meter Akten und Anträge nötig. Auch Jens B. Knudsen vom Zentralverband Deutscher Schiffsmakler konnte sich spontanen Applauses sicher sein, als er mehrere Beispiele für schlechte Regulierungen anführte. So hatten Entsorgungskapazitäten für Tank-Waschwasser gefehlt, obwohl die fachgerechte Entsorgung rechtlich vorgeschrieben war – und obwohl die maritimen Verbände bereits im Vorhinein auf das drohende Problem hingewiesen hatten. Für die maritime Wirtschaft führen solche Ärgernisse zu gravierenden Nachteilen. Denn fehlen geforderte Nachweise, drohen Strafzahlungen, wenn Schiffe in Häfen anderer Länder einlaufen. Zu oft sei unklar, welche Behörde welche Bescheinigung ausstellen könne, welche Daten auf Zertifikaten anzugeben und wie die Dokumente zu übersetzen seien. Und während andere Staaten ihre IT-Infrastruktur modernisierten, agiere Deutschland zu langsam, was in einigen Jahren absehbar zu den nächsten Problemen führen werde. Knudsen forderte deshalb ausreichend Personal und Finanzmittel in den Behörden, eine praxisgerechte Regulierung und eine Verschlankung der Bürokratie.
Ohne Fachkräfte keine maritime Branche
Immer wieder beschäftigten sich die Teilnehmer*innen zudem mit einem Thema, das nicht nur die maritime Branche vor eine kürzlich noch ungeahnte Herausforderung stellt: den Fachkräftemangel. Dem zu begegnen, so wurde deutlich, ist Aufgabe aller.
Mehr spezialisierte Lehr- und Ausbildungsgänge regte etwa Sebastian Jürgens vom Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe an, um die steigende Nachfrage nach Hafenlogistiker*innen zu decken. Marita Krems von MAN Energy Solutions betonte das Engagement ihrer Firma, die u.a. auf Ausbildungszentren, Akademien und duale Studiengänge setze. Deutschland solle „Studien- und Ausbildungsplätze erhalten und möglichst ausbauen und gezielte Zuwanderung erleichtern“, sagte Dieter Janecek und verwies auf das vom Bundeskabinett beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Die Branche dürfe aber auch die soziale Dimension der Arbeit nicht vergessen, mahnte Maya Schwiegershausen-Güth. Die ver.di-Gewerkschafterin sprach die Angst mancher Arbeiternehmer*innen an, dass zunehmende Automatisierung mit Job-Verlusten einhergehen und die Digitalisierung Arbeitsprozesse zerlegen und abwerten könne. Daher sei es entscheidend, Mitarbeitende regelmäßig zu schulen und ihr Wissen auch ernst zu nehmen. Dies sei auch im Interesse der Betriebe. Denn gerade die Mitarbeitenden wüssten oft, wie Prozesse in der Praxis verbessert werden könnten. Auch die fortschreitende Automatisierung müsse für alle Beteiligten Vorteile haben, forderte sie. Schwiegershausen-Güth erhielt in dieser Frage Unterstützung vom Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi (SPD): Das Tempo der Veränderungen und Transformationen in der Wirtschaft sei aktuell hoch. Die damit einhergehende Verunsicherung der Arbeitnehmer*innen müsse bei Entscheidungen mitbedacht werden.
Jenseits dieser Maßnahmen solle die Branche jedoch auch generell mehr für sich werben, forderte Gaby Bornheim vom Verband Deutscher Reeder. Die maritime Wirtschaft müsse betonen, wie attraktiv sie für Arbeitnehmer*innen sei und welche Chance sie gerade jungen Menschen biete – eine Forderung, mit der sie bei Dr. Iven Krämer von der Hochschule Bremen auf Zustimmung stieß, der ebenfalls die entscheidende Rolle von Sinn und Begeisterung betonte. Dies sei jungen Menschen mit einfachen, klaren Botschaften zu vermitteln – etwa der, dass es die klügste Entscheidung ihres bisherigen Lebens gewesen sei, sich für einen maritimen Studiengang zu entscheiden.
Zugute käme der Branche dabei der technische Fortschritt, sagte Krämer. Denn die Offshore-Windparks vor den Küsten in Nord- und Ostsee seien faszinierende riesige Kraftwerke, die völlig auf erneuerbaren Energien basierten. Wer jetzt in die maritime Wirtschaft einsteige, könne deshalb mit Spitzentechnologie arbeiten und nebenbei „die Welt retten“. In den vergangenen Monaten hätten etwa durch den Aufbau der LNG-Terminals im Rekordtempo viele Menschen von den Fähigkeiten der maritimen Wirtschaft erfahren. Diesen Moment könne – und müsse – die maritime Wirtschaft für sich nutzen.
Ein Plädoyer, für das er im Saal nicht lange werben musste. „Wer einmal von der Branche gepackt wurde, den lässt sie nicht wieder los“, sagte Claus Brandt, Geschäftsführer des Deutschen Maritimen Zentrums, und zog eine positive Tagungsbilanz. „Es ist eine unserer Aufgaben alle Akteure der maritimen Branche miteinander ins Gespräch und in den Austausch zu bringen. Die Verbände wollen noch mehr Eigeninitiative zeigen, die Politik will die Rahmenbedingungen verbessern und einen Schutzmechanismus der wirtschaftlichen Stabilität und politischen Sicherheit schaffen.“ Die Branche, so forderte Brandt, müssen nun schnell handeln, brauche klare Aktionen. Und müsse sich selbstbewusst zeigen, um attraktiv zu wirken. Egal, ob es dabei um den Kampf gegen den Klimawandel geht, das Werben um Fachkräfte oder das Bauen supereffizienter Vorzeigeschiffe.
Autor: Tobias Sauer