Nachhaltiges Schiffsrecycling in Deutschland – Eine Studie zum Marktumfeld

Eine Vielzahl der beim Abwracken eines Schiffes anfallenden Produkte ist recycelbar und kann die Kreislaufwirtschaft stärken.
29.11.2023
Philipp Dörr

Philipp Dörr

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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Kapt. Runa Jörgens

Kapt. Runa Jörgens

Leiterin Themen und Projekte/Referentin Schifffahrt

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In Europa besteht bereits seit dem 20. November 2013 mit der Verordnung (EU) Nr. 1257/2013 eine Regelung für das nachhaltige Abwracken von Schiffen. Sie ist Ende 2013 in Kraft getreten und seit dem 31. Dezember 2020 vollständig anwendbar. Am 26. Juni 2025 wird die Honkong-Konvention der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) in Kraft treten. Die Konvention regelt das sichere und umweltfreundliche Recyceln von Schiffen an das sich Schiffsrecyclingwerften weltweit zu halten haben.

Neben den steigenden Vorgaben an Schiffsrecyclingwerften, verschärfen sich kontinuierlich die rechtlichen Vorgaben zum Betreiben eines Schiffes hinsichtlich der Auflagen zum Umweltschutz sowie der Energieeffizienz. Dabei unterliegt der Weiterbetrieb (v.a. von älteren Schiffen) der stetigen Abwägung im Hinblick auf ihre Wirtschaftlichkeit. Ist diese nach den Kriterien eines Reeders nicht mehr gegeben, wird das Schiff zum Abwracken freigegeben. Im Kontext der steigenden Umweltschutz-Anforderungen an die globale Flotte ist davon auszugehen, dass weltweit die Recycling-Tonnage zunehmen wird.

Aktuell wird ein Großteil der Tonnage in Abwrackwerften in Süd- und Südostasien (Indien, Bangladesch, Pakistan) abgewrackt und recycelt. Im deutlich kleineren Umfang wird Tonnage in Abwrackwerften in der Volksrepublik China, den USA und der Türkei verarbeitet. Die Europäische Union verfügt ebenfalls über eine Vielzahl von Abwrackwerften, jedoch wird hier der geringste Anteil der weltweiten Tonnage abgewrackt.

Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung wird die Förderung des Schiffsrecyclings in Deutschland als Ziel ausdrücklich genannt. In Anbetracht des zu erwartenden globalen Bedarfs an Abwrackkapazitäten und den bisher fehlenden Abwrackwerften in Deutschland gilt es, das wirtschaftliche Potenzial sowie die Kriterien für potenzielle deutsche Abwrackwerften zu beleuchten.

Studie

Aus den genannten Gründen hat das Deutsche Maritime Zentrum e.V. die Inros Lackner SE beauftragt, eine Studie zur Analyse des Marktumfelds für nachhaltiges Schiffsrecycling in Europa mit Fokus auf dem Potenzial von Schiffsrecyclingwerften in Deutschland durchzuführen. Die Studie definiert den Begriff „nachhaltiges Schiffsrecycling“ nach regionalen bzw. internationalen Regelwerken und stellt mithilfe des Business Model Canvas das Geschäftsmodell von Schiffsrecycling dar.

Ergebnisse

In der Studie wird das Marktpotenzial für Schiffsrecyclingwerften in Europa je nach Schiffstyp bzw. Schiffskategorie dargestellt. Hierbei geht es z.B. um den steigenden Bedarf an sogenanntem grünen/recyceltem Stahlschrott. In Grafiken werden relevante Kennzahlen aus Datenbanken bezüglich Schiffsrecycling der letzten fünf Jahre dargestellt und interpretiert. Zentral ist die Betrachtung der Markteintrittshürden aus rechtlicher, finanzieller und standortspezifischer Perspektive. Abschließend enthält die Studie Handlungsempfehlungen zur Förderung von nachhaltigem Schiffsrecycling in Deutschland, die sich an Wirtschaft, Politik und Administration richten.

Markteintrittsbarrieren in Deutschland

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass für das nachhaltige Schiffsrecycling in Deutschland einige Markteintrittsbarrieren bestehen. Der rechtliche Rahmen für die materielle Genehmigungsvoraussetzung einer Schiffsrecyclingwerft ist unklar. Schiffsrecyclingwerften gelten als „ortsfeste Abfallentsorgungsanlage“. Ausschlaggebend für ihre Genehmigung nach §4 des Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundes-Immissionsschutzgesetz/BImSchG) sind die Größe des Schiffes und die Menge der in ihm enthaltenen Materialien und Gefahrenstoffe. Diese sind aufgrund der Art, Größe und Zusammensetzung der im Bau des Schiffes verwendeten Materialien stets variabel. Eine entsprechende Genehmigung nach Zulassungsbestimmungen von Abfallentsorgungsanlagen gestaltet schwierig sich aufgrund der hohen Variabilität der abzuwrackenden Schiffe für eine Schiffsrecyclingwerft. Eine gesonderte Zulassung ausschließlich für Schiffsrecyclingwerften existiert derzeit nicht.

Die Zuständigkeit zur Zulassung eines Schiffrecyclingplans wie auch die Art der Zustimmung sind in Deutschland nicht geklärt. Die Art der Zustimmung kann gemäß EU-Verordnung zum Schiffsrecycling (Verordnung (EU) Nr. 1257/2013) entweder ausdrücklich, also aktiv durch eine Freigabe des Recyclingplans durch eine Behörde, oder stillschweigend, indem die Behörde durch ihre Untätigkeit zustimmt, ohne die Zustimmung anders zu erklären, erfolgen. Ebenfalls gemäß der EU-Verordnung, ist die zuständige Behörde eine vom Mitgliedsstaat benannte Regierungsbehörde. Sie ist in einem bestimmten Gebiet oder Fachbereich für Abwrackeinrichtungen zuständig. Auch hier fehlt es in Deutschland an klaren Zuständigkeitsregelungen.

Hohe Lohnkosten, bürokratische Hürden sowie hohe Finanzierungsvolumina für den Kauf abzuwrackender Schiffe stellen in Deutschland erhebliche Markteintrittsbarrieren dar. Dies gilt auch für europäische Schiffsrecyclingwerften, wenn sie auch weniger bürokratische Hürden überwinden müssen. So gibt es z.B. in Norwegen oder Dänemark bereits Schiffsrecyclingwerften, die Schiffe abwracken. Dänemark hat nach der Türkei in Europa bislang die meisten Schiffe abgewrackt, obwohl deren Durchschnittsgröße mit 2500 BRZ im Vergleich zu der Türkei mit 12000 BRZ deutlich kleiner ausfällt.

Marktumfeld

Der überwiegende Teil der weltweiten Schiffsrecyclingaktivitäten findet nach wie vor in Indien, Pakistan und Bangladesch statt mit einem Marktanteil von ca. 80% (2022). Im Zeitraum von 2018 bis 2021 betrug der Marktanteil zusammen mit der Türkei 93-94% im Schiffsrecycling. In Europa findet ein Großteil der Schiffsrecyclingaktivitäten in der Türkei statt, mit einem Marktanteil von 88% nach BRZ. Die europäische Marktführerschaft der Türkei im Schiffsrecycling wird ihr voraussichtlich auch künftig erhalten bleiben. Im internationalen Wettbewerb fallen die Anteil der anderen europäischen Länder marginal aus – es werden geringe Stückzahlen kleinerer und mittlerer Schiffe recycelt. Eine Trendwende ist derzeit nicht erkennbar. Expert*innen gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren rd. 15.000 Schiffe abgewrackt werden.

Handlungsempfehlungen

Um das Marktpotenzial für Schiffsrecycling in Deutschland zu heben, ist ein vielschichtiger Ansatz notwendig.

  • Schiffsrecycling kann in Deutschland auch auf dem Areal bestehender Werften neben dem Neubau und dem Umbau/der Reparatur von Schiffen erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass bei der Einrichtung einer Schiffsrecyclinganlage nur ein Teil der Werft zum Zwecke des Schiffsrecyclings genutzt und ausgewiesen wird. Nur für diesen Teil des Areals des Schiffbauunternehmens müsste eine Genehmigung beantragt werden. Die bereits bestehenden Genehmigungen für das verbliebene Werftgelände blieben unangetastet. Das bedeutet, dass im Rahmen des BImSchG bereits erteilte Genehmigungen nicht verlorengehen.

    Industriepolitisch sollte ein Bewusstsein für die Thematik geschaffen werden, sowohl in der maritimen Branche als auch in der Recyclingbranche und bei Industrieverbänden. Eine Kooperation bzw. Partnerschaft einer Schiffsrecyclingwerft mit einem Stahlunternehmen könnte dies fördern, da z.B. bei Stahlunternehmen im Zuge der Umstellung auf „Green Steel“ zukünftig mehr Stahlschrott verwendet werden wird. Einen Teil des Bedarfs kann durch aus dem Schiffsrecycling gewonnen Stahl gedeckt werden. Die maritime Wirtschaft würde damit einen Beitrag zur klima- und ressourcensparenden Kreislaufwirtschaft leisten.

  • Um Green Steel kostenrelevant produzieren zu können, braucht es bei seiner Gewinnung einen hohen Autonomisierungsgrad in Bezug auf den Einsatz von Personal und Maschinen. Schiffsrecyclingwerften können mithilfe einer Kooperation mit Universitäten, Forschungslaboren und Maschinenbau-Unternehmen die Entwicklung von innovativen Lösungsansätzen zum Schiffsrecycling vorantreiben und einen effizienten Abwrackungsprozess ermöglichen.
  • Es sollten Anpassungen von gesetzlichen Vorgaben zur Genehmigungsbedürftigkeit von Abwrackeinrichtungen erfolgen, um eine Zulassung von Schiffsrecyclingwerften zu ermöglichen.
  • Es braucht Förderprogramme, um den hohen Finanzbedarf beim Aufbau einer Schiffsrecyclingwerft bewerkstelligen zu können.

Um nachhaltiges Schiffsrecycling in Deutschland und als Teil der Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, ist ein Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Politik notwendig.

Das Deutsche Maritime Zentrum steht als Ansprechpartner zur Verfügung und wird das Thema weiterhin begleiten und über aktuelle Entwicklungen informieren.

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