Hintergrund – Europa maritim: Chancen und Möglichkeiten europäischer Fördermittel

Klimaneutrale Technologien erfordern umfassende Investitionen. Vor allem für klein- und mittelständische maritime Unternehmen, stehen vielfältige Förder- und Finanzierungsmittel zur Verfügung.
26.10.2023
Helena Rapp

Helena Rapp

Referentin europäische Initiativen und Förderprogramme in der maritimen Branche

Telefon: +49 40 9999 698 - 76
E-Mail: Rapp[at]dmz-maritim.de

​Der 2019 von der EU-Kommission vorgestellte European Green Deal und das 2021 beschlossene EU-Klimaschutzpaket Fit-for-55 betreffen die maritime Branche in vielen Bereichen. Nach einem etwas zurückhaltenden Start 2019 und unabsehbaren Ereignissen (Corona-Pandemie, Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine) in den Folgejahren, haben die Verabschiedung neuer Gesetze und noch ausstehende Abstimmungen an Fahrt aufgenommen. Mit den Verordnungen AFIR [1], FuelEU Maritime [2] und der Richtlinie EU-ETS [3] (um nur drei Beispiele zu nennen) wurden lang benötigte, klare Rahmenbedingungen geschaffen. Sie bilden die Grundlagen dafür, dass klimaneutrale Investitionen für die Mitglieder der Europäischen Union wirtschaftlich attraktiv und rentabel werden.

Dieser Rechtsrahmen hat weitreichende Konsequenzen für die maritime Branche, die insbesondere im Bereich klimaneutraler Technologien vor großen Investitionen und Herausforderungen steht. Die pragmatische Umsetzung des Green Deal wird in der kommenden Legislaturperiode der EU von entscheidender Bedeutung sein. Die umfassenden Transformationen bieten große Chancen für Europa: Es will zur ersten klimaneutralen Region der Welt werden und dadurch eine große ökonomische, gesellschaftliche und politische Stärkung erfahren, die es erlaubt, eine wettbewerbsfähige, grüne und soziale Vorreiterrolle einzunehmen. Diese Ziele, die der politischen Agenda der EU inhärent sind, werden von einer Reihe europäischer Instrumente begleitet. Für die Unterstützung von EU-Politiken und globalen Herausforderungen werden EU-Haushaltsmittel zur Umsetzung der konkreten politischen und wirtschaftlichen Ziele bereitgestellt. Einen Baustein bilden europäische Förderinstrumente, die die Bereiche Struktur- und Kohäsionsfonds sowie Forschung und Entwicklung (F&E) einschließen. Beide Bereiche sind im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) [4] verankert und dienen der Förderung des Wettbewerbs sowie der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung Europas.

Für die maritime Wirtschaft, die sich mit einem großen Investitionsvolumen, technologischen Entwicklungen sowie der Neudefinition und Umsetzung von Normen und Standards konfrontiert sieht, sind insbesondere Fördermittel aus dem Bereich F&E relevant. Dabei ist das 9. Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe [5] (2021 bis 2027) als komplementär zur nationalen F&E-Förderung von herausragender Bedeutung. Die EU agiert in diesem Forschungsrahmen als aktiver Akteur im Innovationsprozess und hat sich mit der „Governance von Technik und Innovation“ [6] zum Ziel gesetzt, die europäische Zusammenarbeit zu erleichtern, die Wirksamkeit von F&E zu stärken, Arbeitsplätze zu schaffen, Wirtschaftswachstum anzukurbeln und schließlich die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.

Aufbau und Prozesse in Horizon Europe

Mit einem Gesamtbudget von 95,5 Mrd. Euro in der Laufzeit 2021-2027 stehen im 9. Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe für die grüne und digitale Transformation Europas Fördermittel in drei Säulen bereit:

  1. Wissenschaftsexzellenz,
  2. Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas,
  3. Innovatives Europa.

Maritime Förderthemen sind größtenteils in Säule 2, im Cluster Klima, Energie und Mobilität [7] angesiedelt. Im Fokus der maritimen Förderungen stehen emissionsfreie und klimaneutrale Technologien sowie Lösungen in den Bereichen alternative Kraftstoffe, Digitalisierung, Automatisierung, Nachrüstungs- & Lebenszyklusansätze, Infrastrukturmaßnahmen, Elektrifizierung & Energieeffizienz für die Sektoren Schiffe & Schifffahrt, Häfen und Logistik und Meerestechnik. Eine Analyse [8] der ersten Förderperiode (2021-2022) von Horizon Europe hat gezeigt, dass gut 152 Mio. Euro Fördervolumen an nicht rückzahlbaren Zuschüssen an deutsche Einrichtungen ausgeschüttet wurden, wobei Forschung und Wissenschaft mit 50% und Industrieunternehmen (KMU und große Unternehmen) mit 43% einen Großteil der Mittel erwirkten.

Eine bedeutsame Rolle in den Prozessen von EU-Förderprogrammen kommt europäischen Partnerschaften zu. Europäische Partnerschaften sind ein Instrument, das per Zusammenarbeit private und öffentliche Partner aus Industrie und Forschung erfolgreich verzahnt und darüber die Entwicklung eines gemeinsamen Forschungs- und Innovationsprogramms ermöglicht und strategisch steuert.

Auf europäischer Ebene ist z.B. die Technologieplattform Waterborne für die maritimen Branche ein zentraler Anlaufpunkt. Sie versucht, die Sektoren (Schiffe und Schifffahrt, Häfen und Logistik und Meerestechnik) und die Akteure aus Industrie, Forschung und Politik in den Dialog zu bringen, F&E-Themen übergreifend zu bündeln und über gemeinsame strategische Ziele erforderliche Finanzmittel zu mobilisieren. Ferner bietet die ko-programmierte Partnerschaft Zero-Emission Waterborne Transport (ZEWT) die Möglichkeit, in einer öffentlich-privaten Partnerschaft (Public-Private-Partnership) gemeinsame Forschungsstrategien und -themen zu erarbeiten, die dann im Programm von Horizon Europe umgesetzt werden. In der ersten Förderperiode (2021-2022) von Horizon Europe wurden zwölf Ausschreibungen mit einem Fördervolumen von 167,5 Mio. Euro veröffentlicht, von denen 26 Projekte gefördert wurden, 14 davon mit deutscher Beteiligung.

Beteiligungsmöglichkeiten und Chancen für die maritime Industrie

Im aktuellen Arbeitsprogramm (2023-2024) stehen für den maritimen Bereich über die ZEWT-Partnerschaft gut 61 Mio. Euro Fördermittel in sieben Förderausschreibungen mit Antragsstart im Dezember 2023 zur Verfügung. Das Themenspektrum deckt die verschiedenen maritimen Sektoren ab und reicht von elektrischen Antrieben, Emissionsreduzierung und Effizienzsteigerung in Schiffskonstruktion und Retrofitting, Minimierung von Unterwasserlärm, effizienten Gleichstromnetzen bis zu Unterstützungsmaßnahmen für eine emissionsfreie Schifffahrt in den Bereichen Digitalisierung, Geschäfts- und Industriemodelle und der Nutzung von Synergieeffekten. Die Förderquote liegt, je nach Ausschreibungsform und Förderempfänger, zwischen 70% und 100%.

Netzwerk

Horizon-Europe-Projekte bieten den Vorteil, dass europäische Partner und Stakeholder aus Forschung, Wirtschaft und Industrie eng zusammenarbeiten können, da Förderprojekte in der Regel in Konsortien von mindestens drei Parteien aus drei verschiedenen Ländern (EU-Mitgliedsstaat oder assoziierter Staat) beantragt werden müssen. So findet über die Projektarbeit nicht nur eine technische Weiterentwicklung, sondern auch eine Vernetzung relevanter europäischer Akteure statt. Im Idealfall entsteht eine Plattform, die über die Projektlaufzeit hinaus wertvolle Kontakte für die weitere Zusammenarbeit generiert.

Zusammenarbeit und Risikominderung

Die Zusammenarbeit in den Konsortien ermöglicht Arbeitsteilung zwischen den einzelnen Akteuren. Diese beginnt in der Bewerbungsphase bei der Ideenfindung und Projektplanung und setzt sich bei erfolgreicher Einwerbung der Mittel über die meist mehrjährige Projektphase fort. Die oft umfangreichen Vorarbeiten und die komplexe Antragsarbeit können auf viele, zum Teil auch erfahrene Partner verteilt werden, so dass die anstehenden Aufgaben gemeinsam bewältigt werden können. Mit dem Netzwerk der Nationalen Kontaktstellen (NKS) stehen in allen europäischen Mitgliedsstaaten Ansprechpersonen bereit, die über anstehende Ausschreibungen, Antrags- und Bewerbungsverfahren informieren und bei fachlichen Fragen Hilfestellung leisten. Die für Horizon Europe zuständige Generaldirektion Forschung und Innovation (GD RTD) organisiert zudem regelmäßig Informationsveranstaltungen zu den einzelnen Förderprogrammen und ermöglicht sogenannte Brokerage Events, bei denen interessierte Projektpartner eine europäische Kooperation ausloten können.

Die Beratungsmöglichkeiten und gemeinsamen Arbeitsprozesse reduzieren die Risiken hinsichtlich des Zeitaufwands und des Einsatzes finanzieller Mittel für die einzelnen Partner. Dies setzt allerdings eine gute und vorrausschauende, langfristige Projektkoordination voraus, die in den Antragsprozess bei Horizon Europe integriert ist.

Technologische Entwicklungen

Technologische Vorausschau und strategische Ausrichtung sind komplexe Vorhaben. Sie erfordern technologische Innovationen, z.B. im Hinblick auf Infrastruktur oder Regularien. Die Veränderungen werden die maritime Wirtschaft in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen stellen. Um die politisch vorgegebenen Emissionsreduktionen erreichen zu können, sind in der maritimen Branche in kurzer Zeit fundamentale Veränderungen z.B. bei der Wahl und dem Einsatz der Kraftstoffe, den Digitalisierungsoptionen, der Energieverteilung und der Energieeffizienz erforderlich. Die Schwierigkeit liegt gerade für KMU in der Gleichzeitigkeit der Prozesse. Hier bietet die Beteiligung an EU-Projekten durch übergreifende Kooperationen eine Chance, diesen Anforderungen zu begegnen. Die zukunftsorientierten Forschungsprojekte ermöglichen die Teilhabe an den neuesten technologischen Innovationen, den Zugang zu modernsten technischen Geräten und Anlagen sowie zu Testfeldern und -daten. Auch ohne eigene F&E-Abteilungen können so neue Entwicklungen begleitet und adaptiert werden, wie auch Innovationsschübe erfolgen.

Politische Einblicke und Gestaltungsmöglichkeiten

Die Organisation des Bereichs Forschung und Entwicklung der EU bietet auf strategischer und politischer Ebene großes Gestaltungspotenzial. Die Wirkungsorientierung von F&E-Themen innerhalb der EU erfordert eine Mitarbeit zum einen durch Expertenrunden und zum anderen durch die Einbindung der relevanten Stakeholder. Auf diese Weise können Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Verbände und Vereine politische Prioritäten setzen und die Ausrichtung zukünftiger Forschungsthemen und -felder formen. Gremienarbeit ist z.B. über die maritimen Verbände möglich, aber auch über die Mitarbeit in europäischen maritimen Clustern und Plattformen wie z.B. Waterborne TP [9], in der das DMZ, der VSM und weitere deutsche und europäische Partner aus Industrie und Forschung vertreten sind. Inhärenter Bestandteil der europäischen Forschungspolitik ist die demokratische Beteiligung eines jeden Einzelnen. Sie ist methodisch an das Prinzip der strategischen Vorausschau angelehnt. Über verschiedene, meist fachlich organisierte Beteiligungsformate ist insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung der Input industrieller Wettbewerber erforderlich. Durch offene Konsultationen, Workshop-Formate und Tagungen sollen möglichst viele Gruppen erreicht, sowie Meinungen und Themen gesammelt werden, um die Transformationsprozesse optimal unterstützen zu können (siehe Kasten).

Ausblick

Die maritime EU-Förderung trägt dazu bei, Strukturen für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie aufzubauen, Transformationsprozesse zu ermöglichen und die beteiligten Akteure eng einzubinden. Vor allem für den klein- und mittelständischen Bereich, der in der maritimen Wirtschaft in Deutschland eine wichtige Rolle spielt, stehen vielfältige Förder- und Finanzierungsmittel zur Verfügung. Hier liegt das Potenzial, die für den Wandel der maritimen Wirtschaft erforderlichen Innovationen zu realisieren – ohne dass die entstehenden Kosten allein von Unternehmen getragen werden müssten.

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Der Text wurde veröffentlicht in: Schiff & Hafen 10/2023, S. 24-26.

[1] AFIR – Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe; Rat der Europäischen Union, Infrastruktur für alternative Kraftstoffe. Rat verabschiedet neuen Rechtsakt für mehr Ladestationen und Tankstellen in ganz Europa (25.07.2023), URL: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/07/25/alternative-fuels-infrastructure-council-adopts-new-law-for-more-recharging-and-refuelling-stations-across-europe/ (Stand: 23.08.2023); [2] FuelEU Maritime – Verordnung über die Nutzung erneuerbarer und kohlenstoffarmer Kraftstoffe im Seeverkehr; Rat der Europäischen Union, Initiative „FuelEU Maritime“. Rat verabschiedet neuen Rechtsakt zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs (25.07.2023), URL: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/07/25/fueleu-maritime-initiative-council-adopts-new-law-to-decarbonise-the-maritime-sector/ (Stand: 23.08.2023); [3] EU-ETS – Richtlinie (EU) 2023/959 zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und des Beschlusses (EU) 2015/1814 über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union; Amtsblatt der Europäischen Union, L 130/134 (16.05.2023), URL: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0957&qid=1692804313464 (Stand: 23.08.2023); [4] Amtsblatt der Europäischen Union, C 326/47 (26.10.2012), Artikel 107 und Artikel 179-190 (S. 499-500 bzw. S.536-540), URL: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:12012E/TXT:de:PDF (Stand: 23.08.2023); [5] Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Horizont Europa, URL: https://www.horizont-europa.de/ (Stand: 01.09.2023); [6] Governance von Technik und Innovation beschreibt das Verhältnis von Politik, Technik, Wissenschaft/Forschung und Gesellschaft. Diese Bereiche beeinflussen sich gegenseitig und sind miteinander verflochten. Governance beschreibt ein Steuerungsinstrument, z.B. von Staaten oder Institutionen, das politische und gesellschaftliche Prozesse koordiniert; [7] Directorate-General for Research and Innovation (DG RTG), Cluster 5. Climate, Energy and Mobility. Policy, strategy, how to apply and work programmes, URL: https://research-and-innovation.ec.europa.eu/funding/funding-opportunities/funding-programmes-and-open-calls_en (Stand: 28.08.2023); [8] Deutsches Maritimes Zentrum e.V., Förderprogramme der EU. Wie wird Horizont Europa in der deutschen maritimen Branche angenommen? Erste Erkenntnisse aus der Förderperiode 2021-2022, URL: https://dmz-maritim.de/foerderprogramme-der-eu/ (Stand: 28.08.2023); [9] Waterborne Technology Plattform (TP), Membership Map, URL: https://www.waterborne.eu/about/membership-map (Stand: 28.08.2023).

Kontaktstellen und Veranstaltungshinweise

Information, Beratung und Betreuung von Antragsstellenden: Nationale Kontaktstellen Horizont Europa
Informationen zu aktuellen EU-Ausschreibungen für die maritime Branche: Maritimer Förderkompass Europa
Informationen zu Veranstaltungen, Netzwerkarbeit und abrufbare Inhalte: The research and innovation community platform

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