Entwicklung des Marktes für Autonome Maritime Systeme (AMS)

Branchenumfrage ergibt Stimmungsbilder der maritimen Teilsegmente in Deutschland und Europa und identifiziert Unsicherheiten und Hürden
05.12.2023
Kapt. Runa Jörgens

Kapt. Runa Jörgens

Leiterin Themen und Projekte

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E-Mail: Joergens[at]dmz-maritim.de

Autonome Maritime Systeme (AMS) sind Systeme, die ohne menschliche Steuerung ein gesetztes Ziel oder Ergebnis erreichen können. Die umfasst ein breites Spektrum an technischen Anwendungen. Sie reichen von der Navigationsunterstützung mithilfe technischer Systeme bis hin zur vollautomatischen Navigation von Schiffen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI), den Betrieb von (kleinen) autonomen Unterwasserfahrzeugen in Einsatzorten, die für Menschen zu gefährlich sind, oder die Automatisierung des Umschlagprozesses an Containerterminals. Schon heute werden z.B. autonome Unterwasserdrohnen (AUV) zu Explorationszwecken eingesetzt, um kostengünstig schwer zugängliche Orte zu erreichen.

Die Entwicklung von AMS ist in fast allen (Teil-)Segmenten der Schifffahrt zu beobachten. Im internationalen Kontext konnten bereits Produkte mit Technologie-Reifegrad (TRL) 7[1] und höher erreicht werden. Dies zeigte die vom Deutschen Maritimen Zentrum beauftragte „Internationale Umfeldanalyse zu Anwendungsfällen von Autonomen Maritimen Systemen“. Innerhalb der Umfeldanalyse wurden internationale AMS-Projekte erfasst und nach deren Eigenschaften und Rahmenbedingungen bewertet. Die ermittelten AMS-Projekte der Umfeldanalyse waren Grundlage für die Marktanalyse der vorliegenden Studie.

Die öffentliche Diskussion zum Einsatz von AMS wird zurzeit fast ausschließlich zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen, Fachgesellschaften und Fachbehörden, vornehmlich auf technologischer Basis geführt. Doch auch die Unternehmen der maritimen Branche sowie der Zulieferbranche befassen sich mit der Entwicklung und Produktion konkreter Lösungen für AMS.

Die wissenschaftliche Forschung zur Entwicklung geeigneter Methodiken und Verfahren schreitet schnell voran. Zeitgleich entwickelt sich ein „Markt der autonomen Schiffe“, der v.a. durch einen hohen Forschungs- und Entwicklungsanteil und vereinzelte Unternehmen gekennzeichnet ist. Bislang gibt es noch keinen Rechtsrahmen, es fehlt an Normen und Regularien.

Studie
Um einen Übwerblick über die Größe des entstehenden Marktes für AMS in Deutschland und Europa zu erhalten, hat das Deutsche Maritime Zentrum eine Studie über die Entwicklung des Marktes beauftragt. Ziel der Studie ist es, durch eine Marktanalyse verschiedene europäische und nationale Akteure im Bereich AMS zu identifizieren und anhand einer Branchenumfrage zu AMS den aktuellen Markt zu beschreiben. Mit der Branchenumfrage sollen u.a. Markteintrittsbarrieren für Unternehmen erfasst werden, um auf den Umfrageergebnissen basierend, Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu entwickeln. Auftragnehmer der Studie sind die BM Bergmann Marine GmbH und das Fraunhofer-Center für maritime Logistik und Dienstleistungen CML (als Unterauftragnehmer).

Die aktuelle Studie setzt auf die Ergebnisse der weiter oben erwähnten AMS-Umfeldanalyse zu Anwendungsfällen von AMS auf. Ihr folgend wurde eine Charakterisierung des AMS-Marktumfeldes durchgeführt. Diese bildet die Grundlage für die Durchführung der Branchenumfrage. Im Zuge einer systematischen Literaturrecherche wurde der aktuelle Stand von AMS erfasst, um aktive Akteure[2] im Bereich der AMS-Entwicklung und Kommerzialisierung zu identifizieren. Ausgehend von der AMS-Umfeldanalyse wurden weitere Unternehmen mit direktem oder potenziellem Interesse an AMS recherchiert und relevante Marktteilnehmer für die Branchenumfrage   ermittelt. Anders als in der Vorgängerstudie, bei der sich die Recherche ausschließlich auf den von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) definierten Autonomiegrad 4 beschränkte, wurden in der aktuellen Marktanalyse Aktivitäten mit den IMO-Autonomiegraden 2 bis 4 betrachtet. Der Betrachtungszeitraum für potenziell relevante AMS-Aktivitäten wurde auf die Jahre 2018 bis 2022 festgelegt.

Die Branchenumfrage wurde in den verschiedenen Teilsegmenten der maritimen Branche, der Schifffahrt, den Häfen, der Zulieferindustrie, dem Schiffbau, im Offshore-Bereich und in der (Hinterland-)Logistik durchgeführt. Die Branchenmitglieder gaben Auskunft über ihre Aktivitäten, Bedürfnisse und die aufscheinenden Hemmnisse im Zusammenhang mit der Einführung von AMS. Im Zuge der Studie wurden zusammen mit den Ergebnissen der Umfeldanalyse weltweit 127 AMS-Aktivitäten von 269 Akteuren festgestellt. Darunter fallen sowohl reine Forschungsprojekte als auch konkrete Produktangebote von Unternehmen. Die Aktivitäten konnten den Anwendungsfeldern Forschung, Exploration und Vermessung, Transport und Trockenladung sowie Transport von Passagieren zugeordnet werden.

212 europäische und nationale Akteure aus den verschiedenen Teilsegmenten wurden als Zielunternehmen identifiziert und für die Branchenumfrage angeschrieben. Von den angefragten Unternehmen beteiligten sich 52, wobei die meisten Antwortenden aus den Teilsegmenten Schifffahrt, Zulieferer und Häfen stammen. Die Ergebnisse der Befragung spiegeln die Sicht der maritimen Industrie zu Marktpotenzial und möglichen Markteintrittsbarrieren wider. Auf deren Basis wurden von den Aufragnehmern Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Verwaltung entwickelt.

Ergebnisse
Das Engagement der Teilsegmente kann in verschiedene Stadien unterteilt werden. Als besonders aktiv hinsichtlich ihres Engagements für AMS können die Bereiche Schifffahrt, Häfen und Zulieferer bezeichnet werden. In den Segmenten Offshore, Schiffbau und (Hinterland-)Logistik haben sich wenige Branchenteilnehmer zurückgemeldet, so dass auf Basis der Rückmeldungen zur Umfrage schwerlich allgemeingültige Aussagen bezüglich der AMS-Aktivitäten zu treffen sind. Um dennoch eine hinreichende Aussagekraft für alle Teilsegmente zu ermöglichen, wurden die Ergebnisse durch Experteneinschätzungen ergänzt. In einem internen Workshop wurden hierfür 14 Expert*innen der BM Bergmann Marine GmbH, des Fraunhofer CML, des Fraunhofer -Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE, der Bernhard Schulte Group, der Deutschen Gesellschaft für Ortung und Navigation (DGON) und der Anschütz GmbH befragt.

Die auf diese Weise erzielten Ergebnisse der Branchenumfrage zeigen drei große Markteintrittsbarrieren:
1. Sowohl nationale als auch europäische Unternehmen betrachten die regulatorische Unsicherheit als die größte Markteintrittsbarriere. Es fehlen der gesetzliche Rahmen und Regularien für AMS sowie Regeln für die Zulassung und Klassifizierung von AMS-Produkten.
2. Als zweite große Hürde nennen die befragten Unternehmen die Marktunsicherheit. In allen Teilsegmenten zeigt sich, dass es v.a. an Kapitalintensität aber auch Fachkräften fehlt.
3. Als drittes großes Hemmnis für den Markteintritt wird die technologische Unsicherheit genannt. Dabei wurden v.a. die technische Realisierbarkeit als auch der Forschungs- und Entwicklungsaufwand aus Sicht der befragten Unternehmen als Hürde genannt.

Auf Basis der Umfrageergebnisse wurden Handlungsempfehlungen für Politik, Administration und Wirtschaft entwickelt. Es wurden konkrete Maßnahmen und Strategien für die Stärkung des Marktes für AMS wie auch spezifische Empfehlungen für die einzelnen Teilsegmente zusammengetragen. Ergänzt wurden die Erkenntnisse aus der Umfrage um Einschätzungen von Fachleuten.

Die Gutachter empfehlen u.a., dass

  • Deutschland sich aktiv in der internationalen Regelsetzung und Normung einsetzen sollte;
  • Ausbildungs- und Studiengänge mit dem Schwerpunkt AMS ausgebaut und entwickelt werden sollten;
  • auf europäischer Ebene Genehmigungsverfahren vereinheitlicht werden sollten; und
  • Synergien mit anderen Branchen gesucht und bei der Entwicklung von AMS gezielt genutzt werden sollten.

Um das finanzielle Risiko bei einer neuen Technologieentwicklung zu reduzieren, wird zudem die Einrichtung einer auf AMS fokussierten Fördermaßnahme empfohlen.

Zusammenfassung und Ausblick
Der Einsatz von AMS wird in den nächsten Jahren eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen. Die Stärkung und der Aufbau eines Marktes für AMS in Deutschland ist von entscheidender Rolle, um im internationalen Technologiewettlauf nicht den Anschluss zu verlieren. Die Marktumfrage hat ergeben, dass für eine kommerzielle Nutzung von AMS v.a. ein gesicherter gesetzlicher Rahmen notwendig ist. Nur wenn ein innovatives Regelwerk entwickelt wird, können die Unsicherheiten des Marktes reduziert werden. Aber nicht nur externe Herausforderungen beeinflussen die breite kommerzielle Nutzung von AMS. Ebenso interne Faktoren wie Investitionsrisiken und Fachkräftemangel stellen Markteintrittsbarrieren dar, die abgebaut werden müssen.

Das Deutsche Maritime Zentrum möchte in Zukunft die Entwicklung eines möglichen rechtlichen Rahmens für AMS begleiten und dabei als Bindeglied zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Administration fungieren.

[1] Anhand von Technologiereifegraden (Technology Readiness Level) wird der Entwicklungsstand eines technischen Produktes beschrieben. Mit einer Skala von 1 bis 9 werden die verschiedenen Entwicklungsstadien einer Technologie beschrieben. „TLR 7“ bedeutet, dass ein System-Prototyp bereits im realen Einsatz getestet wird; [2] Aktive Akteure stellen AMS her, wenden diese an, evaluieren und testen die Einsatzmöglichkeiten oder liefern Bauteile, die den Einsatz von AMS ermöglichen.

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